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Staatsanzeiger Baden-Württemberg, Ausgabe 49/2003 (2)

Stand: 18.05.2015

Zimmermann: Datenschutz im Gegenwind

Zugriff: Die ganze Welt

Warnung vor schleichender Aushöhlung eines Grundrechts

Autor: Klaus Fischer
Quelle: Staatsanzeiger Baden-Württemberg vom 15.12.2003 (Ausgabe 49/2003) (Staatsanzeiger Baden-Württemberg Externer Link)

Stuttgart. Der baden-württembergische Datenschutz-Beauftragte Peter Zimmermann hat eine "eher ernüchternde" Bilanz des Datenschutzes gezogen. Bei der Vorlage des Datenschutzberichts 2003 erklärte Zimmermann, der Datenschutz befinde sich aktuell in einer schwierigen Lage. Terrorismus und neue Formen der Kriminalität, aber auch die Krise der öffentlichen Finanzen und der Sozialsysteme verstärkten den "Datenhunger" des Staates immer mehr. Das Grundrecht auf Datenschutz werde schleichend ausgehöhlt.
In seinem Bericht verweist Zimmermann auf das vor genau 20 Jahren ergangene \-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung, in dem die Grenzen staatlicher Eingriffe in das Recht auf die informationelle Selbstbestimmung jedes Bürgers aufgezeigt wurden. "Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung", heißt es in dem Urteil, "wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß." Diese Erkenntnis müsse auch heute unverändert Handlungsgrundlage für den Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung sein, forderte Zimmermann. Gleichzeitig beklagte er, die Wirklichkeit werde diesem Anspruch nicht gerecht.

Zimmermann räumt ein, dass das Grundrecht auf Datenschutz unter bestimmten Voraussetzungen hinter anderen, ebenfalls schützenden Interessenlagen zurücktreten müsse. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müssten aber immer durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt sein. Dieser Grundsatz scheine jedoch immer mehr vernachlässigt zu werden, um dem Motto "Zweckmäßige und kostengünstige Erledigung von öffentlichen Aufgaben geht vor Datenschutz" Platz zu machen. Leider werde kaum registriert, dass sich die staatlichen Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht der Bürger in geradezu atemberaubender Weise verdichteten. Ob bei der Telefon- und Video-Überwachung, bei der Rasterfahndung, durch die Steuer- und Gesundheitsverwaltung ­ nahezu flächendeckend werde der Bürger mit ständig verfeinerten Methoden in den Röntgenblick des Staates genommen. Zwar sei gegen eine wirksame Strafverfolgung, eine möglichst gerechte Steuerverwaltung und eine kostengünstige Gesundheitsverwaltung nichts einzuwenden, aber es komme immer auf die Art und Weise und die Intensität staatlichen Handelns an.

Der umfangreiche Tätigkeitsbericht enthält zahlreiche Beispiele von Verstößen gegen den Datenschutz und von bedenklichen Grenzfällen. Dazu gehören mehrere Fälle, in denen eine "unverhältnismäßige" Video-Überwachung festgestellt wurde. Dies galt etwa für das Hallenbad in Freiburg, für das Städtische Krankenhaus in Singen oder für die Wessenberg-Bibliothek der Universität Konstanz, wo mit dem Einsatz von Kameras Diebstähle verhindert werden sollten. Allein zum Zwecke der Strafverfolgung, urteilt der Datenschutzbeauftragte, sei es aber nicht zulässig, derart gravierend in das Persönlichkeitsrecht vieler redlicher Bürger einzugreifen. Auch die polizeiliche Video-Überwachung der Stadt Singen wurde gerügt, weil nicht belegt worden war, dass es sich beim Einsatzort der Kameras um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelt. Außerdem wurden die Monitoren in der Zeit von 18 Uhr abends bis 8 Uhr morgens nicht überwacht. Bemängelt wurde auch die bundesweite Aktion, bei der persönliche Daten von Beziehern der Ausbildungsförderung (BaföG) und dem Bundesamt von Finanzen abgeglichen worden waren. Dieser Abgleich brachte zutage, dass etliche der Leistungsempfänger Zinseinkünfte aus Kapitalvermögen nicht angegeben hatten, aber der Zugriff auf die Daten erfolgte ohne ausreichende Rechtsgrundlage.

Eher skurril erscheinen zwei weitere Beispiele des fahrlässigen Umgangs mit dem Datenschutz: Der Bürgermeister einer Kleinstadt war über den Inhalt der kritischen E-Mail eines Bürgers derart verärgert, dass er diese prompt an den Arbeitgeber des Absenders weiterleitete. Der Bürger hatte die E-Mail von seinem Arbeitsplatz aus verschickt, noch dazu unter dem Firmennamen, was für ihn zu arbeitsrechtlichen Folgen führte. Im anderen Fall hatte sich ein Lehrer um eine Schulleiterstelle beworben, zog seine Bewerbung aber wieder zurück. Dies hielt die Schulverwaltung nicht davon ab, seine Unterlagen einschließlich einer aktuellen Beurteilung an die Gemeinde und die Schulkonferenz zu senden. Laut Zimmermann ist dies ein Beispiel für die Notwendigkeit, dass die Behörden stets auch das "kleine Einmaleins" des Datenschutzes im Blick haben müssten.

Neben der Dokumentation über zahlreiche Verstöße gegen Bestimmungen des Datenschutzes enthält der Bericht auch Hinweise auf aktuelle Entwicklungen, die den Datenschutz vor neue Herausforderungen stellen. Dazu gehören die Folgen der Internationalisierung, mit der sich, ähnlich wie schon die private Wirtschaft, auch die öffentliche Verwaltung auseinandersetzen muss. Am Beispiel der Datenerfassung für das elektronische Grundbuch, die einem Unternehmen in Rumänien übertragen wurde, wird aufgezeigt, wie weit die europäische Harmonisierung des Datenschutzrechts von der deutschen Wunschvorstellung noch entfernt ist. Auch die in Baden-Württemberg eingeleitete Verwaltungsreform ist für Zimmermann Anlass zum Verweis auf den Datenschutz. Er greift damit das Vorhaben auf, so genannte Kompetenzzentren oder gemeinsame Dienststellen einzurichten, in denen Bedienstete verschiedener Behörden tätig werden sollen. Weil sich durch die geplante Neuordnung der Zuständigkeiten auch datenschutzrechtliche Verantwortlichkeiten veränderten, müsse das Verwaltungspersonal aber eindeutig den jeweiligen Ämtern zugeordnet werden. Der Bürger solle sich darauf verlassen können, dass innerhalb der gemeinsamen Dienststellen grundsätzlich nur die für ihn zuständigen Mitarbeiter auf personenbezogene Daten zurückgreifen können.
Mit Bedauern stellt Zimmermann fest, dass die bereits im vorangegangenen Tä\-tigkeitsbericht empfohlene Zusammenlegung der Datenaufsicht für den öffentlichen und den nichtöffentlichen Bereich noch immer nicht verwirklicht wurde. Er verweist darauf, dass alle vier Landtagsfraktionen ihre Bereitschaft bekräftig hätten, diese Anregung zu unterstützen. Leider stehe ein vergleichbar kräftiges Bekenntnis der Landesregierung zu ebenso wirksamen wie überfälligen Strukturveränderungen des Datenschutzes bis heute aus.
Klaus Fischer

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